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Brutalism Reloaded

Kassel

VERORTUNG UND HISTORIE

Die Gustav-Mahler-Treppe liegt an der Hangkante von Friedrichsplatz in die barocke Karlsaue und wurde als Hauptverbindung der Stadt Kassel in die historische Parkanlage gebaut. Sowohl die barocke Grundstruktur des sogenannten Rosenhangs als auch die Planungen von Hermann Mattern zur Bundesgartenschau (1955) wurden an dieser Stelle von der neuen Treppenanlage radikal überschrieben. Planung und Ausführung erfolgte durch Landschaftsarchitekt Hans-Herbert Westphal, Hannover. Die Treppe wurde seit ihrer Eröffnung zur documenta III im Jahr 1964 baulich nicht verändert und war dem Verfall preisgegeben. Lediglich der Rahmenbau, ein Kunstwerk der Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker & Co. wurde 1977 im Zuge der documenta VI integriert.


DISKUSSION DER DENKMALWÜRDIGKEIT UND FRAGEN DER ZUKUNFTSFÄHIGKEIT

Im Zuge der Planungen wurde eine intensive Auseinandersetzung ob der Zukunftsfähigkeit der vorhandenen Schichten in der weitläufigen Parkanlage geführt. Kann eine in der breiten Bevölkerung als grob empfundene bauliche Anlage aus billigen Waschbetonplatten überhaupt denkmalwürdig sein? Die zu sanierende gärtnerische Struktur von Hermann Mattern mit seinem lokalen Sandstein und üppigem Pflanzbild stand in der Diskussion der „Béton-brut“-Treppe gegenüber. Die Entscheidung fiel nach langwieriger Abwägung zugunsten von Erhalt und Ertüchtigung der Westphal-Struktur. Gerade die Seltenheit von landschaftsarchitektonischen Artefakten im Entwurfsgedanken des Brutalismus zwischen den Jahren 1960 und 1970 spielten aus Sicht des Denkmalschutzes nun eine Rolle. Die zeitaktuell drängenden Fragen zur CO2-Bilanz von Bauteilen aus Beton und das Denken in Lebenszyklen und Laufzeiten von Betonbauwerken bildeten aus Gründen des Klimaschutzes einen tragenden Baustein in der Debatte. Barocke Grundstruktur, Zeitschicht Bundesgartenschau 1955 und auch die Zeitschicht der Treppe Mitte des 20. Jahrhunderts wurden gleichermaßen als erhaltenswert eingestuft. Die Gustav-Mahler-Treppe konnte nun im Sinne einer Verbesserung von Barrierefreiheit und Lichtführung stimmig aktualisiert werden.


DENKMAL DES BRUTALISMUS UND NEUE HINZUFÜGUNGEN

Im Zuge der Trümmerbeseitigung des Bombardements des zweiten Weltkriegs wurde der Schutt der Kasseler Oberneustadt mittels Loren über die Hangkante verbracht. Die Konstruktion des Betonbauwerks der Gustav-Mahler-Treppe überspannt diesen labilen Horizont aus Kriegsschutt. Die Unterkonstruktion der Treppenanlage mit ihren Stufen, Plätzen und Podesten bestand aus 25 cm Stahlbeton auf 5 cm Magerbeton und 20 cm Kies. Der 1600 m2 große Plattenverband wies unterschiedliche Formate von 100x100 cm, 75x50 cm, 50x50 cm, 50x25 cm und 25x25 cm auf. Durch fehlende Stufenfixierung war die Gangbarkeit der Anlage durch Verschiebungen kaum mehr gegeben. Die oberirdischen Bauteile wurden ausgebaut, gereinigt und im bestehenden Duktus wieder eingebaut. Jeweils die obere und untere Stufenreihe wurde mit dem Betonfundament verankert. Das Ziel war die Wiederverwendung des historischen Materials aus denkmalpflegerischer Sicht mit gleichzeitigem Fokus auf Schonung von Ressourcen. Die CO2-Bilanz der Baumaßnahme konnte möglichst gering gehalten werden. Durch geschickte Wiederverwendung und Anpassungen im Einbau mussten lediglich 200 m2 an Plattenbelägen und 5 m Stufen nachgegossen werden.


BARRIEREFREIHEIT UND BESTANDSERHALT

Um das Bild des homogenen Treppenkörpers aus Waschbeton in seiner Stringenz zu erhalten und gleichzeitig die Anforderungen an Barrierefreiheit zu verbessern, wurde eine Differenzierung in den Oberflächen vorgenommen. Zwischen hellen Bestandsstufen aus Leinekies und den grau-bunten Belägen aus Weserkies wurde ein taktiler Streifen aus hellem Beton eingespannt. Das glatte, kontrastierende Orientierungsband am Anfang und Ende der Stufenpakete optimiert deren Erkennbarkeit.


LICHTKONZEPT UND LICHTHANDLAUF

Das minimalistische Beleuchtungs- und Farbkonzept sah eine Schichtung von Mastleuchten und LED-Lichthandlauf, reversibel gemäß Charta von Venedig, seitlich vom Betonkörper vor.


Die Eröffnung der Gustav-Mahler-Treppe erfolgte 1964 mit der documenta 3. Das Bauwerk, gedacht als städtebauliche Verlängerung von Friedrichsplatz in die barocke Karlsaue, wurde als Hauptverbindung der Stadt Kassel in den Park projektiert. © Werner Lengemann, Stadtarchiv Kassel, 1964


Der wiederhergestellte Platz am Antritt der Treppe, mit dem im Zuge der documenta 6 integriertem Kunstwerk der Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker&Co. aus dem Jahr 1977. © Nikolai Benner, LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Die Treppenanlage besteht aus einem großen Platz und drei kleinen Plätzen als Podeste mit Aufenthaltscharakter, welche als „Gelenke“ an den Richtungswechseln der Treppenanlage fungieren. © Nikolai Benner, LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Die Gustav-Mahler-Treppe als Denkmal des Brutalismus („Béton-brut Treppe“) bleibt trotz zeitaktueller Hinzufügungen, wie Licht und Orientierungsbänder im Belag als historisches Bauwerk lesbar. © Nikolai Benner, LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Zwischen hellen Bestandsstufen aus Leinekies und den grau-bunten Belägen aus Weserkies wurde ein taktiler Streifen aus hellem Beton eingespannt. Die kontrastierenden Orientierungsbänder optimieren die Erkennbarkeit der Stufenpakete. © Nikolai Benner, LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Ein neuer LED-Handlauf begleitet die südwestliche Treppenseite, abgerückt vom Betonkörper aus Gründen des Denkmalschutzes. © Nikolai Benner, LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Die minimalistische Beleuchtung mit ihrem zeitaktuellen Farbkonzept versucht mit der reduzierten Sprache des groben Betons in Beziehung zu treten. © Nikolai Benner, LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Um den Körper des Betonbauwerks nicht zu tangieren, wurde die neue Beleuchtung als Schicht additiv und somit prinzipiell reversibel an den Treppenverlauf gelegt. © Nikolai Benner, LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Diverse Zeitschichten wurden bearbeitet: die barocke Grundstruktur am Ehrenmal, die Zeitschicht der Bundesgartenschau 1955, der Brutalismus von 1964, sowie die Verbindungen unserer Neuplanung. © LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Beleuchtung und Möblierung unterstützen die zurückhaltende Formensprache des Gesamtbauwerks. © LOMA architecture . landscape . urbanism, 2022


Entwurfsverfasser
Wolfgang Schück
ARGE LOMA architecture . landscape . urbanism + Riehl Bauermann Partner

Mitarbeiter
LOMA architecture . landscape . urbanism
Petra Brunnhofer + Ilja Vukorep + Wolfgang Schück
Architekten, Landschaftsarchitekt, Stadtplaner PartG mbB
Friedrich-Engels-Str. 27
34117 Kassel
Tel.: 0561 / 7660929
E-mail: contact@loma-online.de

LPH 2 bis 5
Mitarbeiter:
Franziska Marquardt
Sabrina Campe
Anna-Lena Brandebusemeyer

Riehl Bauermann Partner, Landschaftsarchitekten PartG mbB
Ernst Bauermann, Jonas Otto
Erzbergerstraße 47
34117 Kassel
Telefon: 0561 / 9 69 92-0
Fax: 0561 / 9 69 92-29
E-Mail: info@rbplusp.de

LPH 6 bis 8
Mitarbeiter:
Matthias Dümer
Felix Huth


Fachplaner / Bauleitung
HAZ Beratende Ingenieure für das Bauwesen GmbH
Johanna-Waescher-Straße 11
34131 Kassel

Ingenieurbüro für Gebäudetechnik
Dipl.-Ing. Oskar Winter
Wilhelmshöher Weg 7
34128 Kassel

am Bau beteiligte Firmen
Zedler Baugesellschaft mbH
Saurechstraße 14
55234 Ober-Flörsheim


Auftraggeber | Bauherr
Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen (LBIH)
Niederlassung Nord
Leuschnerstraße 75, 34134 Kassel

Nutzer: mhk - Museumslandschaft Hessen Kassel

Bearbeitungszeitraum
2018-2022

Planungs- / Baukosten
1,3 Mio